Der Februar 2025 ist ein Monat der düsteren Jahrestage. Ein Jahr seit der Ermordung von Alexej Nawalny in einer Strafkolonie. Drei Jahre seit dem Beginn des ungeheuerlichen Krieges, den Russland gegen die Ukraine entfesselt hat. Hunderttausende von Toten, Millionen von gebrochenen Schicksalen. Zehn Jahre seit der Ermordung von Boris Nemzow. Der Kalender für Februar ist schwärzer als Tinte.
Im Februar hat die Organisation Freies Russland NRW in Düsseldorf und anderen Städten Nordrhein-Westfalens Aktionen, Gedenkveranstaltungen und Solidaritätsbekundungen zu jedem dieser Anlässe durchgeführt.
Nach einem düsteren „Schwarzen Februar“ wollte ich mit Yuri Nikitin, dem Vorstandsvorsitzenden von Freies Russland NRW, über lebensbejahende Formen des politischen Aktivismus sprechen. Wie sich ihre Wege unerwartet mit dem rheinischen Karneval und seiner traditionellen politischen Satire kreuzten. Und auch über das Vermächtnis von Alexej Nawalny, der zeitlebens dazu aufgerufen hat, sich nicht entmutigen zu lassen und nicht aufzugeben.
Wir haben mit Yuri darüber gesprochen, wie seine Organisation zu dieser ungewöhnlichen Form des Protests gekommen ist.
- Unsere Bewegung und unser Aktivismus begannen mit Nawalny. Unmittelbar nach Alexejs Verhaftung im Januar 2021 fand sich ein Team von Gleichgesinnten zusammen, wir begannen, Protestkundgebungen zu organisieren und überlegten, wie wir die stärker werdende Bewegung unterstützen könnten. Wir wollten es bunt und effektiv gestalten. Und dann sahen wir die Karnevalsfigur von Jacques Tilly auf den Fotos: Nawalny, der Putin in die Leistengegend schlägt.
Jacques Tilly, ein berühmter Bildhauer von Karnevalsinszenierungen, hat bereits wiederholt satirische Kompositionen über Putin geschaffen, und diese Figur war seine Reaktion auf die Verhaftung des Oppositionspolitikers. In diesem Jahr wurde der Karnevalsumzug am Rosenmontag wegen der Pandemie abgesagt, und alle Mottowagen waren der Öffentlichkeit nur durch Fotos von der Pressekonferenz bekannt. So hatten wir den Wagemut, Jacques um diese Figur für unsere Protestveranstaltung zu bitten.
Später, in einer sehr kreativen Diskussion, hatte ich die Idee für eine kleine Inszenierung im klassischen rheinischen Karnevalsstil - ein satirischer Sketch zu einem aktuellen politischen Thema, meist in Versen vorgetragen von Hopeditz, dem Karnevalsnarren.
- Für mich war klar, worum es gehen sollte: um die Konfrontation zwischen Putin und Nawalny“, so Yuri weiter. - Also begannen meine Kollegin und unsere PR-Spezialistin Lina und ich, die Geschichte in Halbversen zu schreiben und dabei Elemente des niederrheinischen Dialekts zu verwenden. Wir planten, sie als Narrenfiguren verkleidet vorzulesen. Parallel dazu entwickelte Semyon Gorgel, einer der Organisatoren der allerersten Kundgebung, ein Musiker und Künstler, eine ganze Performance rund um diese Idee, stellte eine „Truppe“ zusammen und fungierte als Regisseur. Das Ergebnis war ein vollwertiges halbstündiges Theaterstück mit Sketchen und sorgfältig ausgewählter Musik.
Wir planten die Premiere unseres Stücks und die erste öffentliche Präsentation der Karnevalsfigur am Samstag, den 24. April 2021 auf dem Marktplatz in der Nähe des Rathauses. Nach der Nachricht über den sich verschlechternden Gesundheitszustand von Alexej, der sich vor einem anderen „Basmanny-Gericht“ für ein neues Strafverfahren im Hungerstreik befand, mussten wir die Pläne jedoch dringend ändern. So wurde die Figur bereits am 21. April auf einer eilig organisierten Kundgebung im Stadtzentrum zum ersten Mal gezeigt.
Wir wollten die größtmögliche Aufmerksamkeit auf Nawalnys Zustand lenken, und das ist uns nicht zuletzt dank Jacques Tilly und seiner Karnevalsfigur gelungen: Hunderte von Menschen kamen trotz der kurzfristigen Ankündigung an einem Wochentag, und zum ersten Mal erhielten wir nicht nur Live-Berichterstattung und außergewöhnliche Medienaufmerksamkeit, sondern auch Worte der Unterstützung von Politikern.
Natürlich war die Premiere selbst deshalb nicht so gut besucht, wie wir gehofft hatten. Aber sie war trotzdem großartig, und wir waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden!
Auf diese Weise wurde politischer Protest auf unerwartete Weise mit einer Karnevalstradition verbunden, was dem Widerstand gegen den Autoritarismus nicht nur Entschlossenheit, sondern auch Kreativität verlieh.

- Und das alles trotz der Pandemie und der Einschränkungen?
- Ja, die Besonderheiten des deutschen Rechts sind so beschaffen, dass selbst während der strengsten Restriktionen das Recht auf freie politische Meinungsäußerung unangetastet blieb. Sich in Gruppen zu versammeln, sogar unter freiem Himmel zu tanzen - auch das war nicht erlaubt. Aber eine unserer kreativen „Kundgebungen“ namens „Aquadiskothek“, inspiriert von einer Geschichte aus einem investigativen Film über Putins Palast, war möglich. Es handelte sich tatsächlich um einen Massentanz - etwa 20 Leute machten Aerobic, und seltsamerweise wurde das nicht mehr als Straftat angesehen! Eine coole Geschichte, die sich eine andere Aktivistin, Olga Wagner aus Essen, ausgedacht hat. Sie hat dann zum Unabhängigkeitstag ein ganzes Theaterstück „Über das Schicksal Russlands“ inszeniert, das wir in Köln gezeigt haben. Und das alles in einer Zeit brutalster Quarantänebestimmungen.
Die vom Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit erlaubte es uns also, praktisch uneingeschränkt auf die Straße zu gehen - natürlich unter Beachtung der Gesundheitsvorschriften. Dies stand in krassem Gegensatz zur Situation in Russland, wo das Verbot von Versammlungen selektiv angewandt wurde und wird - vor allem, um die Menschen nach Hause zu treiben und zum Schweigen zu bringen.
Damals haben wir uns fast jedes Wochenende in Düsseldorf, Köln und Essen getroffen.

- Und dann seid ihr „nach Berlin“ gegangen?
- Ja, damals, im Jahr 2021, waren alle sehr aufgeregt. In Berlin, in der Nähe des Brandenburger Tors, gab es ein Protestzeltlager, das über einen Monat bestanden blieb. Dort zeigten wir das zweite Mal unseren Mottowagen und unsere Performance.

Für Berlin haben wir eine russische Übersetzung angefertigt und die Performance in zwei Sprachen gezeigt, mit dem Brandenburger Tor als Kulisse. Man könnte sagen, dass wir ein Stück des rheinischen Karnevals in die Hauptstadt gebracht haben. Wir haben aber auch den lokalen Organisatoren geholfen, dort eine ganze Veranstaltung unter Beteiligung deutscher Politiker und bekannter Vertreter der russischen Opposition durchzuführen.
Dann haben wir die Figur Nawalny mit Putin noch ein paar Mal verwendet und sogar mit Kollegen aus anderen Ländern darüber gesprochen, sie zu ihnen zu bringen.

- Was dann folgte, war der Krieg...
-Jacques Tilly, der begabteste Künstler, ein unglaublicher Humanist, der immer an vorderster Front kämpft, war vom Beginn der Invasion so schockiert, dass er und sein Team über Nacht eine neue Komposition schufen - „Erstick daran“.
Dank unserer bereits bestehenden Zusammenarbeit wurde dieses Stück zu einem der markanten Antikriegssymbole bei den ersten großen Kundgebungen 2022 zur Unterstützung der Ukraine. Dann halfen wir dabei, sie und andere kriegsthematische Figuren von Jacques nach Bonn zu bringen.
- Das ist schon eine echte Zusammenarbeit zwischen Freies Russland NRW und Jacques Tilly!
- Das kann man so sagen. Tatsächlich haben wir bereits 2023 begonnen, mit Jacques über die Möglichkeit zu diskutieren, eine eigene Figur zu schaffen, aber wir brauchten Zeit, Ressourcen und einen Anlass. Gründe hatten wir genug, aber alles andere war ein Problem. Und so schlug Jacques irgendwann einen Kompromiss vor:

- „Ich werde dieses Jahr eine Figur haben, möchtest du sie im Karnevalsumzug mitnehmen? Aber es ist sehr provokant.
Wir diskutierten das Konzept in der Gemeinschaft und wägten die möglichen Risiken ab. Die Figur zeigte Patriarch Kirill, der vor Putin kniet, in einer unverhohlen sexualisierten Pose - als Symbol für die völlige Abhängigkeit der russisch-orthodoxen Kirche von den weltlichen Behörden und dem Regime Putins. Wir befürchteten mögliche Angriffe seitens der russisch-orthodoxen Kirche wegen Blasphemie und „Beleidigung der Gefühle von Gläubigen“, aber seltsamerweise kam die meiste Kritik von russischsprachigen Feministinnen, die darin nicht einen Priester im Dienste des Führers, sondern eine Verherrlichung von Gewalt sahen. Jacques reagierte stoisch auf diese unbegründeten Vorwürfe, denn noch mehr Kritik erhielt er von seinen deutschen „Kollegen“ für die Figur mit Hamas-Kämpfern, die sich hinter dem Rücken von Zivilisten vor dem „israelischen Militär“ verstecken.
Wir begleiteten diese Figur in einer Kolonne von „freien Russen“, alias „KarNavalny Team“ fast wie bei einer Demonstration - mit unseren Plakaten. Es stellte sich heraus, dass es ein gutes Konzept war - wir mochten die Idee, und unsere Botschaften und unser „Auftritt“ kamen gut an. Wir haben nun den Zyklus der Integration unserer gar nicht so „karnevalistischen Extravaganz“ in die Düsseldorfer Karnevalstradition abgeschlossen, der für uns mit der Figur des Jacques im Jahr 2021 begann. In diesem Jahr wurden wir bereits offiziell eingeladen, wieder eine eigene Kolonne zu bilden.

- Mai 2024. Ich sehe die Nachrichten auf Dozhd und... ich sehe Putin in Den Haag. Und bekannte Düsseldorfer Gesichter.
- „PUTINJail“. Das ist schon unsere eigene Figur - eine künstlerische Umsetzung von Jacques, aber die Idee ist von mir: Putin im Gefängnisgewand, unter der Last der Anschuldigungen. Putin sollte unter dem Tribunal des internationalen Gerichtshofs in Den Haag stehen, nicht auf dem Königsthron im Kreml!
Am 7. Mai, dem Tag von Putins Amtseinführung, brachten wir diese Figur nach Den Haag und stellten sie vor dem Justizpalast auf. Dies wurde zu einem starken Symbol für Millionen von Menschen. Die Aktion wurde international: Aktivisten aus München, Warschau, Berlin, Paris und anderen Städten schlossen sich uns an. BBC, Reuters, Al Jazeera - alle Medien der Welt berichteten über uns.

Am 3. März, am Rosenmontag, werden wir in einem Karnevalsumzug in einer Kolonne freier Russen mit eben dieser Figur durch die Straßen von Düsseldorf marschieren.
- Yuri, vielen Dank!
Das ist eine tolle Geschichte über Kunst als Form des Protests und des politischen Ausdrucks.
Eure Aktionen zeigen, wie traditionelle kulturelle Formen (Karneval, Straßentheater) zu Werkzeugen des Kampfes werden können. Erst Navalny gegen Putin, dann der Krieg, dann die Verurteilung des Regimes und der russisch-orthodoxen Kirche - ihr schafft buchstäblich eine visuelle Chronik des Widerstands. Um des Lebens willen. Ich danke Ihnen!
Беседовала Алена Шенгелия (Дюссельдорф)
Jacques Tilly ist ein bekannter Düsseldorfer Künstler und Bildhauer, der für seine politischen und satirischen Karnevalsskulpturen bekannt ist. Es sind seine Kompositionen zum aktuellen und akuten Weltgeschehen, die den Düsseldorfer Karneval besonders machen.
Die Ausstellung der Werke von Jacques Tilly ist bis zum 10.08.2025 im Stadtmuseum Düsseldorf, Berger Allee 2, zu sehen.
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